Die Welt ist nicht immer Freitag - Horst Evers

Das Glücksbrötchen

(...) Beschließe, bis Thomas kommt, mich noch ein wenig mit meinem Glücksbrötchen zu unterhalten. Mein Glücksbrötchen war ungefähr vor 8 Wochen in mein Leben getreten. Damals hatte ich mir vier Brötchen zum Frühstück gekauft, aber nur drei gegessen. Am nächsten Tag kam ich irgendwie nicht so recht zum Frühstücken, am übernächsten nicht mal so richtig zum Aufstehen, gibt solche Tage. Das übrig gebliebene Brötchen wurde mit der Zeit ziemlich oll. Irgendwann wollt ich das dann auch nicht mehr essen. Wegschmeißen macht ich es auch nicht, immerhin war es ja Brot, also machte ich es schließlich zu meinem Glücksbrötchen. Schien mir das Vernünftigste.

Heute ist es mir richtig ans Herz gewachsen. Ganze Tage sitzen wir manchmal in der Küche und reden über Gott und die Welt. Zwar hat das Brötchen ganz eigene Ansichten über die Schöpfungslehre, hält den Bäckermeister von nebenan für Gott und hegt zeitweise beinah rassistische Vorurteile gegen Vollkornbrot, aber ansonsten ist es wirklich ein feiner Kerl. Wenn wir gemeinsam spazieren gehen, ich ihm ein bisschen die Stadt zeige, dann ist das schon ein herzerwärmender Anblick. Ein Mann und sein Brötchen, was kann es Schöneres, Natürlicheres geben. Klar, hinter unserem Rücken wird oft getuschelt: "Das Brötchen ist doch viel zu jung für den, das geht nicht gut. Irgendwann ist das Brötchen älter, nicht mehr so frisch, er trifft ein hübsches Croissant...und dann? Dann steht das Brötchen vor den Krümeln der Beziehung."

Aber unsere Freundschaft ist uns wichtiger als das Gerede der Leute.

 

Eine Buch mit gesammelten Kurzgeschichten, die einen so grandiosen trockenen und subtilen Humor pflegen, dass ich jedem dieses Buch an Herzen legen möchte. 

Es ist grandios.